Medientraining: Blitzanalyse zum Toni Kroos-Interview im ZDF

Mai 2022
Medientraining: Blitzanalyse zum Toni Kroos-Interview im ZDF

Fußball-Superstar Toni Kroos hatte nach dem Fußball-Finale der Champions League das Interview mit ZDF-Reporter Nils Kaben  abgebrochen.

Seitdem tobt ein Streit: War das Verhalten von Kroos angesichts der unverschämten Fragen gerechtfertigt und hätte Kaben das Interview

besser führen müssen oder hat beim Fußballer die Souveränität gefehlt?

Mich beschäftigt die Frage nach der Struktur des Interviews und wie man aus einer solchen Gesprächssituation am besten herauskommt.

 

1. Ein Interview mit Unterstellungen 

 

Der ZDF-Journalist hatte versucht, mit provokanten Fragen Kroos ein paar knackige Zitate zu entlocken.

Die Fragen enthielten daher Unterstellungen und zielt darauf, den Interviewpartner in eine Rechtfertigungssituation zu bringen.

Geht der Interviewpartner darauf ein, hat er verloren und gibt das Gespräch aus der Hand.

Kaben fragt: „Können Sie das schon glauben? Sie haben jetzt zum fünften Mal die Champions League gewonnen. Das ist unfassbar, oder?“

Und: „Sie haben ganz lange ins Publikum geschaut. Weil das erstmal sacken muss?“

Dann aber: „War das überraschend für Sie, dass Real Madrid doch ganz schön in Bedrängnis geraten ist?“

Der größte Fehler, den man in dieser Situation machen kann? Mit „Weil“ beginnen und sich zu rechtfertigen.

Genau das macht Kroos. Der Fußballer springt über jedes Stöckchen, das Kaben ihm hinhält und fühlt sich erkennbar schlecht dabei.

Kroos – der die ganze Zeit den Interviewer nicht anblickt – antwortet: „Ich habe geschaut, wo meine Familie ist, weil das ein ganz besonderer Titel für mich ist.“

„Pfff, was ist schon selbstverständlich? Die Champions League zu gewinnen, ist auch nicht selbstverständlich.“ Und so geht es weiter.

 

2. Darf ein Reporter solche Fragen stellen?

 

Na klar! Ein Journalist darf jede (auch noch so blöde) Frage stellen.

Kroos hat sich darüber geärgert, weil er den Eindruck hatte, Kaben unterstelle ihm, dass Real die schlechtere Mannschaft sei – und das, obwohl Madrid gewonnen hat.

Entscheidend ist: Spielt man das Spiel des Reporters mit oder erkennt man diese Interviewstruktur, reagiert professionell und lässt sich nicht aus der Reserve locken?

 

3. Wie hätte Toni Kroos antworten sollen? Muss man nicht Verständnis für seine Reaktion kurz nach dem Spiel haben?

 

Ja, nach einem solchen Spiel ist niemand in der Lage, seine Emotionen ganz zu beherrschen. Die Spieler sind immer noch in einer Ausnahmesituation.

ABER: Kroos ist kein Amateur-Fußballer. Er ist #Profi und Interviews sind Teil des Geschäfts.

Toni Kroos ist Fußball-Weltmeister 2014, vielfacher Champions-League-Sieger und einer der beliebtesten und bestbezahlten Fußballer.

Er ist Profi und kennt solche Interview-Situationen zur Genüge.

Bei einem solchen Spieler kann man die Latte schon höher ansetzen. Es ist sein gutes Recht, sich über die (unverschämten) Fragen zu ärgern.

Doch von jemanden wie Kroos kann mehr Professionalität erwartet werden.

Er kennt das Mediengeschäft, weiß, was ihn erwartet und wird gezielt auf solche Situationen vorbereitet.

Fazit: Bei kritischen Fragen gilt: Nicht das Framing der Frage übernehmen. In ganzen Sätzen antworten und vor allem eher allgemein bleiben und sein eigenes Statement setzen.

Kaben: „Toni, herzlichen Glückwunsch. Was für ein großer Abend. Können Sie das schon glauben? Sie haben jetzt zum fünften Mal die Champions League gewonnen. Das ist unfassbar, oder?“

Kroos: „Ich bin glücklich über den Gewinn der Champions League. Wir haben als Mannschaft zusammengehalten, alles gegeben und das entscheidende Tor erzielt.“

Kaben müsste jetzt auf alle drei Punkte in den Nachfragen eingehen: Mannschaft, alles gegeben/gekämpft und Tor erzielt. Damit geht Kroos in den Lead und bestimmt den Verlauf des Interviews.

 

4. Muss sich Kroos jetzt entschuldigen?

 

Nein, natürlich nicht. Letztlich haben sowohl der Reporter als auch Kroos mit diesem Interview verloren. Aber die (Fußball-)Welt geht davon nicht unter.

Hoffen wir, dass die Qualität der Fragen besser wird.

 

5. Kann man das eigentlich üben?

 

Ja, das Erkennen der Struktur der Interviews und die besten Antwortmöglichkeiten kann man trainieren. Und noch etwas: Alle Fragen wiederholen sich irgendwann!

 

Autor: Sandra Pabst

Foto:  Screenshot ZDF